die dunkle glocke der zeit

[ich gehe nachts]

die dunkle glocke der zeit. Gedichte.

Edition Offenes Feld (eof), Hrsg. Jürgen Brôcan, Dortmund, 2025, ISBN 978-3-7583-4010-9

ich gehe nachts
in den föhrenwald hinaus
aus der stadt
den gedanken an sie
als befände ich mich auf weltflucht
oder suchte nur stille

die stimmen in mir nehme ich mit

und biete sie dem föhrenwald zum tausch
gegen eine zigarette

dabei bin ich nichtraucher

aber nachts im föhrenwald mit einer zigarette hinter dem ohr
es gibt kaum etwas schöneres beruhigenderes

zurückgekehrt in die lichtglocke der stadt

ich breche die fenster aus den kreuzen
lasse den schnee herein
gebe den wänden namen von heiligen
im aquarium flackern die fische

[versuche das dunkle einzufangen]

für Hilmi Yavuz

versuche das dunkle einzufangen
und auszusetzen
mit den stimmen und geistern der wände
und fundamente altes bruchstein
mauerwerk übriggeblieben zwischen beton und glas
doch die vergangenheit liegt tiefer
in der erde nämlich den klüften im fels
da helfen auch kein beton und glas darüber
hinweg
dunkelheit ist keine sache verschlossener augen und fenster
ein keller im haus ist die einzige verbindung
zu den toten
deshalb lagere vorräte ein
eingemachtes konserven marmelade
alles was ein toter so braucht
und geh ab und zu hinunter und sprich mit ihm
es geht dir danach besser
und ihm auch

von urknall war nichts zu spüren

hörbar nur
das fallen des schnees
wie wenn er aus dem unendlichen kam
und ins unendliche ging
mit seiner ganzen stille
die an die erschaffung der welt erinnerte
an die eine sekunde vor dem beginn