Hautsterben
hautsterben
heute ist hautsterben
morgen werden sie dir sagen
dass es dich nicht gibt
ich spanne falter zwischen meine finger
und zähle die farben meiner hand
wir sahen haut sterben
zu grabe getragen
atmet sie noch
wasser
"hautsterben", Lyrik der Gegenwart, Band 23, Edition Art Science, Wien und St. Wolfgang (ISBN 978-3-902864-11-6)
JAGUARNACHT manchmal endet eine liebe und nimmt die farbe des wassers an manchmal passt sie in eine hand oder ein herz in der jaguarnacht hörst du den schlamm am grund des flusses murmeln |
GUTGLÄUBIGKEIT wir legen uns welt um den hals und steine in die taschen unsere kinder spielen mit schlangen und drachen in der zeitung steht dass es das alles nicht gibt und nichts gegen den schmerz |
GEDICHTE FÜR SCHNEELEOPARDEN auf dem bahndamm liegen die dörfer / nach süden hin seit du gegangen bist / schreibe ich gedichte schneeleoparden sind dankbar / für jedes wort gestern sah ich einen / er lief an den dörfern vorbei nach süden wo ein meer lag / bevor sich gebirge erhob als kinder lasen wir bücher über schmetterlinge aus ihnen wählte ich mir den trauermantel du hast dich in eine schneeleopardin verwandelt und gehst auf dem bahndamm das meer suchend / doch nur gebirge findend |
NACHTS KEHREN STIMMEN an meine tür zurück oder ich beobachte sie draußen im garten wie sie sich austoben mit den eulen im april haben die stimmen ausgang in den regen den schnee und die sonne auf die noch verlassenen almen im april sind die stimmen melancholisch verirren sich in die städte warten an einer kreuzung vor einer roten ampel auf das erste zarte grün auf die buschwindröschen und das wiesenschaumkraut den löwenzahn bekommen kraft oder werden wütend |
Haugemer Fasnacht *
anderi sii welle d' kinder un au d' erwachseni alli verkleidet wie wenn si anderi sii wodte als sie sin' vielliicht sin' sie's au für e stund oder zwei wer chas wüsse d' gugge d' gugge trummle un bloose e chrach wie numme sälde im läbe spöter wenn de heimgohsch isches numme no still do schtohsch du wirfsch konfetti in d' höchi s' werde träum rosani orangeroti schwarzi un wissi sie gkeie z'ruck dir grad vor d' fieß do schtohsch vor dine eigene träum ---------------------------------------------- * Der Dialekt wurde lektoriert von Elfra Sandmann, Lörrach, und Markus Manfred Jung, Kleines Wiesental, denen ich herzlich dafür danke! |
Stimmen und Meinungen zu "hautsterben"
"Verse in Sommerkleidern"
(veröffentlicht in der Online Ausgabe von KUNO, Kulturnotizen zu Kunst, Musik und Poesie, seit 1989 – ISSN 1869-9383, am 6. September 2012)
Von Ulrich Bergmann
Werner Weimar-Mazurs Gedichte sind wie leicht hingetuscht, gewinnen aber stets Tiefe. Sie sind Wort- und Satzgesang, sie klingen. Nie entgleiten sie ins Sentimentale, aber sie haben Gefühl und Herz. Die tektonische Metaphorik (Gebirge – Meer), die in so manchem Gedicht aufscheint, gefällt mir sehr; sie ist zwar nicht neu, aber neu angestrichen, neu gewandet. In Sommerkleidern kommen die Verse daher, transparent, sinnlich – und das gilt auch für die Seele, die gläsern erscheint. Die meisten Gedichte sind Liebesgedichte oder sind angesiedelt in der Sphäre des Liebens und des Sagens. Manche Gedichte reflektieren das Reden über die Liebe und in der Liebe und poetologisch auch das Reden in Versen. Das sprachliche und metaphorische Niveau schätze ich sehr hoch ein. Es ist eine Lyrik, die mit den Sternen am Lyrikhimmel der letzten Jahrzehnte leuchtet. … Die Gedichte, die Christoph Meckel, dem sie nah sind, nicht ohne Grund lobte, sind sprachlich sehr schön, oft überzeitlich wirkend, sie haben gedanklichen Witz, Leichtigkeit und Tiefe, sie besitzen trotz aller Konventionaliät im sprachlichen Ausdruck neuartige Wendungen und Bilder, überraschende Ideen, insgesamt einen ganz eigenen Ton, der ins Herz dringt und mit sanftem Humor und Leichtigkeit in die Tiefe der Leserseele wirkt.
Lavendelatem
lavendelatem
über die fluh bricht bläue
in diesen rauhwackensommer
kalkklüftig war das jahr
und ohne geschichten aus dem mandelland
und ohne das meer
das dir salz ins gesicht wirft
lass flattern dein weißes kleid wie ein segel
leg ab das schwarz
die witwentage sind vorbei
häng dein haar in die gischt wie ein netz
die fische können heut fliegen
Dieses Gedicht ist für mich neben „die mondschale gefüllt“ das schönste in dem 102 Seiten langen Büchlein. Mich bestechen die ungewöhnlichen, selten gebrauchten Wörter. Schon der Titel, lavendelatem, verzaubert durch die Beseelung des Blumenkrauts, in dem wir uns selbst spiegeln unterm blauen Himmel. Und was für ein schönes Schlussbild als Pointe des Lebensbejahungsgedichts! Fang mit deinem träumenden und denkenden Kopf die Fische, deine Nahrung, die Dialektik des Seins: Wenn du dich erfindest – in deinen Gedanken und Taten -, dann kannst du auch fliegen, dann übersteigst du jedes Paradoxon!
unaufgeregt
ein berg passt in ein herz
ein tal ein dorf
ein schneefeld in der ferne
ein bach ein fluss
ein bach der uber felsen stürzt
ein haus
der stall steine auf dem weg
im sommer verwilderte schafe
ein neuer belag für die umgehungsstraße
flüsterasphalt
ein berg passt in ein herz
ein tal ein dorf
ein schneefeld in der ferne
ein bach ein fluss
ein bach der über felsen stürzt
dein haus
Das dreiteilige Gedicht sagt, was ein Ich begreifen kann – alles passt in unser Herz und wir sind eins damit in unserem Haus, das für uns steht, eins mit uns selbst. Im Mittelteil tastet sich das Denken des lyrischen Ichs wieder ins Außen, in die geheimnisvolle, romantisch gesehene Dingwelt (Flüsterasphalt), und nun transzendiert dieses Ich, es geht aus sich heraus und findet noch ein anderes Haus, eine andere Heimat – im Du. Es ist dies in seinen kargen feinen Gedanken-Strichen ein wunderbares Liebesgedicht: Auch du passt in mein Herz. Ich verstehe dich, die Welt gehört mir und dir.
Manchmal sind Gedichte
wie welke blätter
die in nasses gras fallen
manchmal wie schnee
der auf den bergen taut
eine flut im fluss
auf dem wege zum meer
gedichte können sterben
weinen
auch lachen
manchmal haben sie die kraft
einer frau
oder das gewicht
eines schmetterlings
gedichte fragen nicht
ob sie geliebt werden
manchmal sind gedichte
eifersüchtig
auf das leben
manchmal nicht.
Dieses Gedicht redet von der Sprache und ihrem Eigenleben, das sie außer uns führt. Und uns doch so ähnlich ist. Unsere Gedichte können sterben, heißt es. Hölderlin glaubte oder hoffte, in seinen Versen zu überleben. Eines Tages sterben auch die berühmtesten Gedichte. Ob das hier gemeint ist? Ich weiß es nicht. Vielleicht leben Gedichte nur in ihrem alten Leben weiter – erst in unserer Deutung lebt es wieder. Gedichte sind unabhängig und brauchen keine Liebe. Sprache ist autonom. Eifersüchtig können sie sein, wenn sie Menschensprache sind. Aber wenn Gedichte die Wahrheit sagen, dann sind sie nicht eifersüchtig, denn sie stehen über uns, freieste Richter des Über-Lebens.