2014
ozeanisierung
sind die letzten schwingungen
des urknalls
abgeebbt im echo
in den bewegungen der kontinente
klingen gedichte nach
bleibt ihr versmaß
im auflaufenden ton
eines insektenflügels
der stimme einer gottesanbeterin
die chiffren legt in einem boot aus papyrus
erscheint der sonnengott selbst
in seinem brennenden wagen
bücherverbrennungen menschenopfer
azurfalter brechen ihr schweigen
haut reißt auf und driftet
als wären schelfränder keine narben
land unter
maulbeerbäume getaucht
und seidenraupen in gedichte
getragen
gestern zogen nomaden durch
die cafés unserer stadt
die tram hielt nicht
am warschauer platz
die liebenden von der weichsel
brücke pflanzen schon seit tagen
digitalis
gezeitenstrom
land wellt sich zu meer
zwischen moränen gebettet
liegt strandgut
am findling im seetang
gletscher täuschen seegang vor
tidenhub und im brandungssaum
muschelschill sander
aus einem urstromtal
richtung tag
geht die reise
und über toteis
geschiebelehm
nicht nur die nacht
ist ein raubtier auch haut
zwischen zwei bissen ins genick
kannst du ein wenig schlafen
zwischen den blicken eines jaguars
oder den flügelschlägen eines schillerfalters
bewegen sich elementarteilchen
in elektrischen und magnetischen feldern
leuchtfeuer
wenn das meer stimmen
auswirft wölbt sich
dein sternum zu einer insel
fahren fischer hinaus ins offene
und legen schatten aus im wind
wiegen sich elementarteilchen
falten wir blaue lippen
in den schmerz die sprechen
blaue gedichte
befehlen sie deinem haar
in einem anderen land
auf den tod zu warten
migrationshintergrund
meine haut ist ein hafen
eine insel eine fleischrote
anlegestelle für einen schmerz
schatten stimmen schatten
und apollofalter
überqueren den indischen ozean
im nachthimmel ein bellen
von kampfjets
und sternbildern
vom mont parnass steigen
panther
zu göttern hinab
algonkin
sie essen ihre feinde
fische und bären
jagen sie durch wasser
sind sie gute tänzer
wie die wipfel der bäume im wald
einmal trieb ein boot
auf einem fluss
bis in ein totenreich
und verwandelte sich
zu birkenrinde
fern vom meer schwimmen
blaualgen weichtiere und schwämme
ich spanne meine haut
zu einem fleischroten himmel
über ein untergegangenes land
wir teilen das meer
in sternbilder
fisch wassergeist waran
seezeichen gleich
setzen wir segel und körper
und auf die birkenrinde
legen sie ihre lieder
zu einem totentanz
erheben sich sturmmöwen zitronenfalter
und zuletzt eine lachmöwe
kopenhagener deutung
1
steht gelber mohn
im gefiederten auge
drei scherben hoch
trinkst du den tag
in vollen zügen
2
dein zittern ist ein wildes tier
3
die falter sind
verwahrlost du
4
und ausgefranst aus hellen nächten
Athen 1980
wir teilen uns tage und wunder
schlagen echsen die köpfe ab
und sammeln quallen
im sand am meer
wir erklären uns unsere liebe
du sprichst über schnee
deine stimme schmeckt
nach honig der hymettos
erhebt sich über der stadt
wie der rücken eines wals
ende oktober setzt regen ein
und schwemmt den staub
von den straßen
dass die stadt zittert
in den metzgereien hängt
das fleisch von der decke
der olivenhain ist erstickt
im gestank der autoabgase
erschreckt uns nicht
das letzte aufbäumen der stadt
jesienny *
inskriptionen No. 7 / 2014 - gedankenschutt, traum
Erata / Leipziger Literaturverlag (ISBN 978-3-86660-188-8)
in neuem gewand streift der herbst
rehe von den bäumen
lautlos fallen sie
und jedes hört
auf einen namen
die gehwege sind schon voll von ihnen
am liebsten gehe ich auf den boulevards
unter meinen füßen
rascheln die rehe
.
* polnisch, deutsch herbstlich
ostbahnhof (seidenstraße)
metallisch liegt die stadt im mittag
vor dem löwentor im café
hocken dichter aus dem altai
bei branntwein faseln sie verse
in einer nomadensprache
klauben sie starkstrom
aus den überlandleitungen
schwimmt entfesselt das atom
im kühlwasser wie ein altes vlies
unter einer betonkuppel
auf gesprochenen silberfäden
treibe ich durch die straßen
bis zu den zedern und weiter zur schneegrenze
reicht dein lied von den hinterhöfen
und einem freien platz im untergrund
spätsommer
an dichten sommertagen ziehe ich
die blaue luft zu fäden zusammen
und spiele darauf harfe
um mich herum liegen hautflügler
die den tag nicht überleben werden
du stehst auf dem balkon und siehst
wie die tomaten wachsen
die robinien in unserer straße verlassen
schon die kräfte nur das motorrad vom nachbarn
dröhnt wie am ersten tag
vorort
auf den straßenbahn
schienen zieht ein zeisig
seine kreise
haltestellen kennt er auf bäumen
wundersam sind die sitten
und gebräuche
in alternden großstädten
gehen greise auf den gleisen
sitzen die jungen in der tram
und zünden sich ein handy an
rückzugsgebiete - troja - stadtpark
Die Gedichte "rückzugsgebiete", "troja" und "stadtpark", die annähend zeitgleich bereits auch in anderen Zeitschriften veröffentlicht wurden, sind an entsprechender Stelle dort zu finden (siehe unten).
rückzugsgebiete
mit fischen belaubt
treiben häuser das tal hinab
spielen quallen verstecken
und fangen in unserer straße
legen sich schneegedichte
über die berge
rehe gingen voraus
und bauten nester
zwischen korallen
bäumen
blieb zeit stehen
lehnte sich
eine wegwarte
an deine schulter
wirft der wind wellen
über die baumkronen
und stimmen hinterher
herrscht lange stille
subkutanes
subkutanes macht mir heute
zu schaffen
weit draußen auf offenem blut
wogen stimmen
und wollen nicht enden
wir gehen durch den stadtpark
seite an seite mit geistern
neben den rosen blüht ginster
eine ganze nacht lang
parken im krähenwinkel warane
jeden tag erlebe ich
ein blutwunder meine haut
bricht auf und heraus quellen azurfalter
troja
über die gefalteten dächer
wirft der krieg girlanden
ayhan schläft seit tagen
ziehen schillerfalter ins gebirge
liegen tarnnetze über karawansereien
und in den ebenen flugabwehrraketen
ayhan geht im traum
nackt zwischen soldaten
schläft der halbmond
hören schmetterlinge
flüsternde stimmen in den bergen
drängen truppen
von allen seiten gegen die stadt
auch vom meer
täuschen weiße segel frieden vor
rudert ayhan ihnen entgegen
in simulationen
fällt soldaten das töten leicht
im häuserkampf richten sich die gefalteten dächer
noch einmal auf
später werden die dichter des landes
die schönheit der berge besingen
doch die schillerfalter kehren nicht zurück
undulation
1
großes herzecho an der wand
hängen gemälde von bruegel
du spielst violine
2
wir falten blumen zu gedichten
und verfüttern sie an die ungläubigen
hautflügler
3
adonisfalter wollen wir sein
auf einem röntgenbild
mit lungenflügeln
4
du atmest groben sand
mit den flugzeugen
ziehen stare übers gebirge
wendekreis des kolibris
1
schneefäden über den feldfluren
und in den flüssen kolibris
aufgewühlt aus dem grund
schlammiger hände
2
lungenfische schnappen
nach der unbekümmertheit
von dolden und lippenblütigen tagen
3
im surren von florfliegen und helikoptern
wartet gondwana
4
auf die wölbung des meeres
die krümmung der bergketten
am schiefrigen horizont
die spuren der jaguare
verlieren sich in ausgelassenheit
kondensstreifen ziehen
über deine schulterblätter
und deinen nacken
stadtpark
hör ich in den nestern
auf schlafbäumen der krähen
lachende stimmen im park
gehen die leute auf dem kopf
sprechen manche mit enten
andere mit sich selbst
schweben singschwäne ein
im vollbild einer großaufnahme
bewachen parkwächter den schnee
mit spuren von krähen darauf
und ihren stimmen darüber
sucht ein letztes liebespaar den see
will es mit fischen sprechen
unterm eis
wie unter totgetäfelten wänden
in einem anderen raum
abendessen
der tisch ist zugedeckt mit tellern
von denen andere gegessen haben
an den gläsern kleben abdrücke
fremder finger und lippen
an den tapeten schillerfalter
ich öffne das fenster
du schließt die augen
und fliegst mit ihnen
in den offenen himmel
vor dem wir gestern noch standen
als ich welten legte in deine wolkenhände