2012
reise
ins land der lemuren gingst du
stelltest zum abschied
eine schale worte vor die tür
sagtest
dass wir deinen namen
vergessen sollten
die fensterläden schlagen seitdem
erinnerungen
klopfzeichen
aus dem inneren von muscheln
(auch in " hautsterben", 2012)
fußnote
nachzutragen bleibt:
als ich ein kind war
umgaben purpurhecken unseren garten
unter den dornen
zitterte das gefieder eines vogels im frühlingswind
ein zeisig – tot
das alte gartentor
aus verwitterten holzlatten
nur einmal stand es offen
als großvater über die allee
zum friedhof getragen wurde
nie wieder kamen so viele menschen
in unser haus
der erdboden bei der großen mauer
war noch gefroren
das gras braun und flach gedrückt vom schnee
mutters verweinte augen
ich pflückte schlüsselblumen
und buschwindröschen
du hast mir zugeschaut
tiefflieger flogen über das dorf
wir haben dem zeisig ein grab geschaufelt
(auch in " hautsterben", 2012)
potok - lysienie *
ein gedicht in die jahre gekommen
über nacht fielen ihm die haare aus
büschelweise goldene haare
und der reiher vom fluss
gibt ihnen das grau seines gefieders
dazu
(* polnisch, deutsch: Bach / Fluss – kahl werden / Haarausfall)
(auch in " hautsterben", 2012)
letni *
tageweise sommer
die fensterscharniere
mit dem gesang der amsel
brechen
im wald das schweigen
(* polnisch, deutsch: sommerlich)
(auch in " hautsterben", 2012)
dunajec
silberweich die tage ausgerollt wie ein mandelteppich
eine decke über die karpaten gelegt
die tatra die polnischen vorlande
selbstgebackenes mitgebracht an weihnachten
bei freunden und wilden schafherden geschlafen
ohne angst vor dem aufwachen
hautgleich und müde und durchscheinend
jeden tag ein schritt weiter
bis die landschaft in den himmel fließt
einen einzigen großen laut in der stille bildet
licht im inneren der muschel
erstes rauschen der zeit
an deinem noch unberührten ohr
(auch in " hautsterben", 2012)
lyrisches beizeiten
unten ist die erde
offen verschlingt
gedichte und menschen
geht in den himmel über
wir wussten es
lange nicht
bis der zebravogel es verriet
mit seinem schlagenden gesang
der wie der hammer
des sargtischlers schlägt
dreimal kurz dreimal lang
beim vierten mal
fängt das holz
an zu beten
das offene in der erde
das nicht
zuheilt
[so oft ich es auch wieder verschließe]
(auch in " hautsterben", 2012)
versmaß
worte leicht gesetzt
zwischen kranich und ginster
als hätten sie schon immer
den himmel in versen gemessen
(auch in " hautsterben", 2012)
mergelliebe
Inskriptionen No. 5 / 2012 - traumaspiele
Erata / Leipziger Literaturverlag (ISBN 978-3-86660-150-5)
wir legen unsere liebe auf mergel
kalkgraues gestein und braunes
mit rauhen händen
streicheln wir unsere erinnerungen
als wären sie
aus poliertem granit
(auch in " hautsterben", 2012)