2018
ana | falange
Cría cuervos, y te sacarán los ojos (spanisches Sprichwort,
deutsch: Züchte Raben, und sie werden dir die Augen aushacken)
für Carlos Saura
jeden tag füttert sie ihre raben
und hütet das weiße pulver
das mutter ihr hinterließ
in der nacht vergiftet sie den vater
mit den raben lernt sie
fliegen
porque te vas
weil du gehst
endlich gegangen bist
von uns
wie lange haben wir alle auf diesen augenblick gewartet
deine agonie war die eines ganzen landes
das elektroenzephalogramm zeigte keine gehirnaktivitäten mehr an
zu deinem grab pilgern touristen
ein kleines mädchen träumt
schwer lasten die erinnerungen
die familie liegt wie ein berg auf seiner brust
die engel haben verlernt zu fliegen
die raben die es gefüttert hat
picken ihm die augen aus
paläophytikum
für Herta Müller
wir hatten metalle gezählt
und in landschaft gelebt
unser vaterland war ein apfelkern
wir spien ihn aus
wie können wir gewöhnlich leben
wenn uns der schnee zugedeckt hat
eine andere frau mit roten haaren und roter lederjacke
saß mit einem jungen mann
der gute manieren hatte
in einer pizzeria und aß pizza
am abend im hinterzimmer eines maisfelds saß ein zwerg
er verspeiste einen riesen
wie weinte seine mutter
[und sein vater bezahlte zwerge
mit herbstzeitlosen
und schnee]
quecksilber // einundzwanzig
kabul
wieder für Granaz Moussavi
wir sprachen farsi und schnitten
zweige aus den kirschbäumen
im garten blühten reine verse
auf der straße vor dem haus
ratterte ein alter motorroller
und ahmad schlug auf seinen esel ein
schneeluft wehte von den bergen
sangen mädchen im radio
sirisirin
du bliebst stehen
die menge rannte weiter einer steinigung
hinterher
wir sprachen farsi und schnitten
zweige aus den kirschbäumen
im garten blühten reine verse
ahmads esel hatte sich losgerissen von seinem karren
und blieb stehen vor dem haus
am ende der straße
brachtest du ihm frisches gras
und reine verse
wir waren atomdichter
und sprachen mit den basalten
unsere eltern zogen über die gletscher
unseren kindern gaben wir namen
wie sonnenschein zukunft oder hoffnung
auf ein besseres leben warten wir noch
auf den schneefeldern hinter dem fjord
landeten drohnen geophysikalische messungen
der schwere und des magnetfelds von spalteneruptionen
einer paläoerde trieben fremde forscher ins land
ein paar sind geblieben
sie verliebten sich in unsere elfen
skaldendichter sangen verse über feuchten torf
zeichen aus flechten und gletscherschliffe auf steinen
ein mann eine frau eine hauswiese
auf ihr grasten schafe und pferde
im wollgras das sich im wind wiegte ruhten stimmen
der jeep vor dem haus hatte kein benzin mehr
im jahr des großen ascheregens verfinsterte sich der himmel
kinder verhungerten frauen und männer
eine insel wurde geboren
flugzeuge verloren die orientierung und fielen vom himmel
du summtest ein wiegenlied
in ihm trockneten stockfisch und walfleisch in klarer luft
medeal
für Bela und ihre Apfelbäume
aus dem kaukasus kamen deine vorfahren
unbekannte gegenden mit wilden tieren
und menschen mit harten bräuchen
vom schwarzen meer kamst du
folgtest einem elenden verführer
halfst ihm stehlen und rauben
wurdest durch ihn zur mörderin
[wollten uns seine nachfahren mit einer anderen weismachen]
fallen ließ er dich
du erhieltest keinen dank
ach hättest du das goldene widderfell für dich behalten
es versteckt in deines großvaters haus
im entlegenen gebirgsstall
gleich hinter der passhöhe unter den gletschern
wo nur die ziegenherden und hirten den weg kennen
wo die krummhörner mit dem wind um die wette blasen
wo die mädchen scheu aus den fenstern der hütten lugen
wenn ein fremder prinz vorüber reitet
auf der suche nach einem alten geheimnis
wo die dichterin die felsen besingt
den fluss das meer in den der fluss fließt
die fische die nicht zurückkehren
wenn sie den silbernen wal getroffen haben
mit seinem mondmund
der so groß und schön ist wie der himmel
über der dachluke der felsenburg
in einem bunten kaftan könntest du liegen
im frühsommer unter einer linde
dein geliebter küsste dir den honig vom leib
das blut der kirschen mischte sich mit deinem
ach hättest du dem elenden verführer
die doppelklinge der bergbewohner ins herz gestoßen
das schwarze meer wäre noch dunkler geworden von seinem blut
[doch kein dichter hätte dich dafür besungen]
promenades des faunes
mit hingabe an die nacht
zähle ich münzen
schlafen im schatten der platanen seidene papillen
auf einem see der ruhe
treiben schweigend die flügelschläge von nebelfaltern
dahin
zittern deine lippen in den wogenden bewegungen von wörtern
atemberührungen von streulicht
für einen schreck eine sekunde
tasten fingerkuppen zeile für zeile
die blindenschriften der liebe
4 7 21 silberlinge häufe ich zu stelen
zittert jetzt deine stimme
wir schwimmen mit den fischen
şanlıurfa
trinken das heilige wasser
şanlıurfa
befehlen ibrahim zu bleiben
zu nehmen die magd zur zweitfrau
şanlıurfa
sarah kann bleiben
hall stadt
besuchte ich
das beinhaus
lagen nicht nur bein an bein
auch arm an arm
schädel an schädel schulter an schulter
rumpf an rumpf und die füße
beieinander wie liebende
nach dem letzten kuss in der nacht
schliefen im gletscherbett die plätten
unter dem salz
behütete sie dach stein
legte sich nebel zwischen die leiber
in die traurigkeit flüstern sie flüssigen safran
mit erde vermischt bildet er dein mahl
sag den trotzigen kindern etwas von liebe
grenadierplatz
ist die wohnung des bäckers voller brot
wollen seine kinder kommen
ist die frau tot
liegt sie aufgebahrt in der stube
bleibt der laden heute geschlossen
trägt der nussbaum im garten dieses jahr reich
flackert das fernsehbild
fährt ein auto vor
ist wieder niemand gekommen
medeal
für Bela und ihre Apfelbäume
aus dem kaukasus kamen deine vorfahren
unbekannte gegenden mit wilden tieren
und menschen mit harten bräuchen
vom schwarzen meer kamst du
folgtest einem elenden verführer
halfst ihm stehlen und rauben
wurdest durch ihn zur mörderin
[wollten uns seine nachfahren mit einer anderen weismachen]
fallen ließ er dich
du erhieltest keinen dank
ach hättest du das goldene widderfell für dich behalten
es versteckt in deines großvaters haus
im entlegenen gebirgsstall
gleich hinter der passhöhe unter den gletschern
wo nur die ziegenherden und hirten den weg kennen
wo die krummhörner mit dem wind um die wette blasen
wo die mädchen scheu aus den fenstern der hütten lugen
wenn ein fremder prinz vorüber reitet
auf der suche nach einem alten geheimnis
wo die dichterin die felsen besingt
den fluss das meer in den der fluss fließt
die fische die nicht zurückkehren
wenn sie den silbernen wal getroffen haben
mit seinem mondmund
der so groß und schön ist wie der himmel
über der dachluke der felsenburg
in einem bunten kaftan könntest du liegen
im frühsommer unter einer linde
dein geliebter küsste dir den honig vom leib
das blut der kirschen mischte sich mit deinem
ach hättest du dem elenden verführer
die doppelklinge der bergbewohner ins herz gestoßen
das schwarze meer wäre noch dunkler geworden von seinem blut
[doch kein dichter hätte dich dafür besungen]
gesang dreizehn
die mohntage waren mir die liebsten
wenn der schlaf die wunden bedeckte
und deine lider taumelten durch die nacht
zwei drei kriege lang ging das schon so
oder auch mehr
deine finger ertasteten die durchlässige zeit
und wenn ein hund sie leckte
schmeckten sie nach verrat und tod
sirenen sangen um zu vernichten
die umhertreibenden und getriebenen
schiffbrüchige in geist und seele
ließ sich der held an den mast binden
um zu hören die weisheit von der vergänglichkeit
trieb es ihn heim zu frau sohn und vater
den mächtigen gott des meeres hatte er zum feind
und nur eine steinkäuzin zum schutz
du aber wähltest die gesänge von faltern
ihre flügel streiften haar schultern hals
den du einzogst hinter dem sternum
sahst du der herbst machte kein geschrei
ob des gemetzels
als der held sich den freiern der gattin zu erkennen gab
schwiegen die sirenen wie die götter
trankst du vom mohn
und sangst um die wette mit faltern
gesang elf
Anthologie zum Ulrich-Grasnick-Lyrikpreis 2017
Armélin, Almut / Grasnick, Ulrich (Hrsg.): Wenn wir den Atem anhalten. Quintus-Verlag Berlin, 2018 (ISBN 978-3-947215-37-9)
ich wollte dich nach dem weg fragen
doch du warst verschwunden
auch der weg war nicht da
so ließ ich mir vom rebhuhn sagen
wie die nächste weinernte ausfallen würde
ich versuchte mich in einen tisch einzufühlen
eine stehlampe einen kanarienvogel oder ein efeublatt
ganz egal was
hauptsache in irgendwas
eines abends wäre es mir fast geglückt
du verfingst dich im straßennetz eines stadtplans
verliefst dich schon an der nächsten ecke
beim bäcker
oder war es ein metzger
oder ein dichter der dir den himmel erklärte
wir verhängten die bilder
hier war gerade einer gestorben
niemand mehr interessierte sich für ihn
ein jahr noch vielleicht oder zwei
und die wände würden wieder nach zement schmecken
auf dem bildschirm schneite es
jemand hatte das antennenkabel gestohlen
digital poetisch
graugefiedert sprang die katze zur tür
etwas musste sie erschreckt haben
meine woche
Inskriptionen no. 10, 2018, ende der genieästhetik
Imogen Pare, Lisette Kammrad & Viktor Kalinke (Hg.), Leipziger Literaturverlag (ISBN 978-3-86660-238-0)
am sonntag verwandle ich mich
in einen baum lasse ich
den frühling herein gebe der katze
zu fressen
oder nicht
am donnerstag muss ich mich erinnern
an die kindheit alte fotos fallen
mir in die hände
ein einkaufszettel
den mutter schrieb
am mittwoch werfe ich
meine blätter ab
am freitag kaufe ich ein
lauter dinge auf mutters einkaufszettel
einige gibt es schon lange nicht mehr
in den auslagen und regalen
gehen spinnen um
am montag suche ich die katze
am dienstag gebe ich es auf
am samstag gehe ich
in mich versuche ich
ordnung zu bringen
in die gedanken mein leben
beknie den gott der zweifelnden und verlorenen
dass er gnädig ist
nocturne (elfter gesang)
wer mich kannte wusste
dass ich gedichte vom himmel herunter log
in ihnen schwammen fische durch leuchtreklamen
stiegen über den schildern luft- und sprechblasen auf
in die lichtglocke über der stadt
wurden stimmen beschworen
urtümliche laute aus u-bahnschächten
mischten sich mit dem rascheln der lindenblätter
vom warschauer platz vom czernowitzer platz
vom donauufer in budapest und vom schwarzmeer bei odessa
wer mich kannte wusste
dass in meinen vom himmel herunter gelogenen gedichten
am horizont schneeberge aufragten
über sie zogen singschwäne in ferne geschichten
die an orten wie teheran und kabul spielten
dort standen mädchen am straßenrand
und winkten burschen bei reiterspielen zu
später weinten die mädchen
wenn die toten körper der burschen
auf lastwagen in die stadt zurückkehrten
wer mich kannte wusste
dass selbst das blau am himmel lüge war
in ihm spiegelten sich die augen von geckos
die an hauswänden hockten und auf das ende der zeit warteten
menschen beobachteten die tiere und glaubten
sie brächten ihnen glück
die augen der menschen leuchteten dann blau wie der himmel
ich bog um die nächste straßenecke
sah fische und hörte singschwäne
und die nacht und die lügen nahmen kein ende
gesang zwei
die versuche über den wald liefen ins leere
kreisten schwarzstorch und waldrapp um ein neutronengeschoss
lag es verschattet neben der luftwurzel eines baums
suchtest du in stadt und dorf eine straße
die heraus führte aus dem grün
in ein nebelgebiet über flussauen
mischten sich stimmen mit den flügelschlägen von wörtern
die über dir kreisten
und einen namen riefen
indem sie das verschwiegene aussprachen
suchtest du weiter die liegengelassenen
augen und münder deine haare
auf denen du wiegenlieder spieltest
für ein totgeborenes
mit kristalliner struktur
[webtest du wasserzeichen in ein mandelland]
orla
an einen oktobertag erinnere ich mich noch
es war kalt die pfützen gefroren
saßen wir in der dämmerung auf dem uniparkplatz im auto
und steckten uns die ringe an
blätter schwebten über den harten erdboden
(wie liebten wir den sommer den süden)
an zwei novembertage erinnere ich mich
es war warm die sonne schien
durch das offene klinikfenster
verdampften die herbstfarben über dem sterbebett
mutters stimme flüsterte die rückkehr der zugvögel herbei
(wie strichen unsere hände den raureif glatt)
wir nähern uns norden
für Rebecca Zinke
liegt dein gesicht zwischen zwei monden
zerfließt schnee
waren die konturen deiner augen
einmal licht einmal nacht
ein anderes mal
trafen wir uns auf altem kristallin
langsam fangen die falten an
meine geschichte zu erzählen
granatglimmerschiefer faltengebirge
aus knotenschiefern
baute ich das dach eines hauses
im mittagslicht schimmert cordierit
cordieritblau beugt sich der himmel
über das dorf
in seiner unwissenheit wirkt er einsam
allein ein eremit
unter den einzelgängern der bergdohlen
gleicht deine stimme dem knistern in eis
wir nähern uns norden
fremdwörter führen uns nach hause
fremdwörter führen uns nach hause
den wind lassen wir liegen
er taugt nicht für gedichte
für märchen vielleicht
der wind der wind das himmlische
silbe für silbe nähern wir uns
dem fluss den feldern
dann dem dorf
und am ende weist uns der asphalt
den weg in die stadt
wo die raben schon auf uns warten
borkum I
vogelrauschen meeresschreien
weht deine stimme in wellenbewegungen
über dünen
den brandungssaum
ziehen graugänse in ein grauland
weiter
der tag ist elektrisch
magnetisch die nacht
plötzlich grün plötzlich blau
und gelb
steh auf
geh
weiter
richten sich mandelweiden auf
zu einer buhnung
stemmt sich sprache gegen den sturm
ebbt ab flutet auf
meeresschreien vogelrauschen
borkum II
traum und nachtgleiche
ein schiff aus sand
und unterm kiel die möwen
schreien übers watt
nebelbänke halten an
die zeit
denkt man
doch es ist das leben
das verweilt
[schneeweiß]
für W. H.
der himmel legt sein leichentuch über die erde
frau holle macht überstunden
herr holle indes nimmt reißaus
fliegt er mit seiner geliebten in den süden
ins land des ewigen frühlings
ins land der klavierstimmer
die blockflöte spielen lernen
[b]schneeweiß[/b]
werden seine haare
auch dort
Dinçer
er trägt ein murmelndes und trauriges meer in sich
aus dem er gesänge schöpft
das land zu bewässern
mit sprache
Ilhan
einer konnte auf holz gehen
ein anderer auf stein
wieder ein anderer zeichnete linien ins blau des himmels
und vergaß zu trinken
über kommen
für Arthur Rimbaud
wenn die arbeiter (die angestellten)
die fabrikhallen (die büros) verlassen
geht wieder /unbemerkt
ein sonniger tag zu ende
lassen sich die männer und frauen nicht
an den ufern der seine [sɛn] nieder
sondern fallen
in ihre fernsehsessel (in die balkonstühle)
soziale netzwerke
säuseln smart aus den phones arbeiterlieder
(angestelltenlieder)
über die liebe über gott
und die welt /unbedeutende? gegenden
zwischen zwei atemzügen zwei augenaufschlägen
eines glücks /nicht existent!
rauschen vor dem haus die autos
und in der ferne irgendwo
die grüngestorbenen wälder
die feldfluren die flusswasser
die stillen
die schnee-e
diese letzten leichentücher
die den arbeitern (den angestellten)
aus der /guten alten zeit geblieben sind
atomdichter und zungenbecken (canto verbano)
zog hallgrím an den gletscher
und log gedichte
über die geburt der basalte
reiste ugla die henne
im gepäcknetz vom nordland nach reykjavík
kam sie unter die räder eines straßenkreuzers
verlor sie ihr leben
da weinte das wollgras
wir lagen im gletscherbett
an seinem grund schlief der see
die berge ringsum
waren nunatakker
wurden geschliffen die inseln
geschleifte drumlins
trieben mit den booten dahin
tastete ich deinen finerokörper
grünes gestein
das sich geschält hatte aus seinem erdmantel
trug ich stimmen in die wälder
schürfte sich seine haut wund an der erdkruste
lief die schwarze katze von links ins bild
konnte das gedicht gelingen
erweiterte ich meine sammlung um eine muschelschale
legte sie zwischen das pfennigstück
und das welkgepresste
blatt eines bergahorns
wog hallgrím das gewicht des mittelatlantischen rückens
vivisektionen
i - iv
aus dem fenster springen blicke
......
Montags = Text vom 07.05.2018
Forum für Autonome Poesie Signaturen
http://signaturen-magazin.de/werner-weimar-mazur--vivisektionen-1---4.html
isenheim (erster gesang)
wir richteten uns ein im bauch eines wales
und hofften dass er uns wieder ausspeien würde
nach seinen tauchgängen im marianengraben
seinen flügen über wellengebirge
hieltest du licht in den händen
antworteten dir stimmen und erinnerungen
hörten wir auf die nächte zu zählen
die jahre
das unglück
die landschnecken befuhren alle weltmeere
hielten auf inseln landgänge ab
und träumten sich odysseen
am schönsten waren die mädchen von gozo
der held selbst wusste es und blieb
viele jahre zogen ziegen und schafe
über die dornbuschheide
ich trug mir schieferöl auf
das durch die haut floss schweflig teerartig
in einigen platten fand man ichthyosaurier
die mit ihrem aussterben um die wette schwammen
posidonienschiefer
poseidonschiefer
pyritisiert war das neptungras im tod
ein wandschmuck über dem kaminsims
ich las dein leben und wunderte mich
dass ich in ihm nicht vorkam
du hättest mich vorwarnen müssen
oder wenigstens dem specht im garten
nicht das klopfen verbieten dürfen
unten am see hatte sich ein boot losgemacht
und trieb über die wasserfläche
spiegelungen eines früheren lebens
begleiteten es in konzentrischen kreisen
dein klatschen ordnete die natur
mit baugruben machte mir keiner so leicht etwas vor
am abend schlich ich mich in den wald
und legte fallen aus
du riefst an
dass dein vater gestorben war
und du allein sein wolltest
ich reiste in einem falter
flügel falter staub warst du
bei mir ein roter ford
umhüllte dich felicitas
der aschenbecher war voll
erinnerungen an ilya + yevgenii
das recht der ersten reise
yes baby
no darling
ich war puppe raupe
ein gesponnener faden
schleim absonderung absonderlich
seidene vorhänge in den fenstern
schärften spiralnebel deinen blick
umgabst du dich
mit einer letzten metamorphose
[ein loch geschlagen in die erdkruste]
war alles elektrisch das licht wie der stuhl
den gläsernen bogen des mondes strich ich
dass musik erklang
eine dünne glasmusik (des todes)
die spuren der blumen führten in ein grab
das land lag weiß auf frischem blut
und nur die erde wärmte den puls
der jäger und gejagten
wir flochten flachs zu schwarzem haar
mirjam sang
von einem blonden meer
einem toten meer
hob an die stimme
du warst in einem stern geboren
ein neuer ton klang in die nacht
der schlag einer schwanzflosse in einem netz
fischer holten es ein
als das letzte mondlicht erloschen war
nach getaner arbeit am ende eines kurzen lebens
lag der see wieder ruhig
schien mir
nur ein zittern auf dem wasser noch
das erinnerte an einen tod
walisische nächte (zweiter gesang)
zwischen den häusern spazierten
menschen neben zebras und antilopen
auf der suche nach einer wasserstelle
dürsteten alle nach wissen
am grunde des meeres
bewegten sich träume im trilobitengang
vorwärts
zeichneten starenschwärme und bienen
flugbilder an den himmel
im kommen und gehen
unterschieden sie sich
nicht
von irgendwoher drang gesang
in die gassen und hinterhöfe
eines faulen sonntagnachmittags
roch es nach gewürzen nach fisch
gedünsteten kräutern
gebratenem gemüse und fleisch
ich folgte den blicken der mädchen
aus augen wie karseen
die jemand liegen gelassen hatte
zwischen häusern einer stummen vorstadt
und fernen dörfern eines felsengebirges am horizont
schwappten verse über die dächer
in einer fremden sprache
im rauch der kamine
stiegen die wörter hinauf in die wolken
eines plötzlich unbekannten himmels
streifte deine hand eine wegwarte
die aufblühte zwischen den heimwehen
nach dem letzten frühlingsmond
wir übten uns in asche
schlenderten polizisten im einsatz
durch lyrische städte
streiften bargänger auf der suche
nach einem whiskey
on the rocks unten am fluss
bei den mädchen
im mondschein
wiegte das wasser die planken
gegen die kaimauer drückte ich dich
meine hand ruhte aus
auf deiner brust
der atem der möwen
spiegelte sich im licht
dein heller hals
legte sich in die gesänge der nacht
und blieb [in den quecksilberträumen]
gesang eins
auf einmal wurde die landschaft hügelig
buckelwale duckten ihre rücken im gras
alle halme bewegten sich im gleichklang
die musik musste von fern kommen
hinter dem gebirge wechselte der himmel seine farben
Şirin sang
von der küstenebene drang kriegsgeschrei
die wale verharrten im abendlicht
dass ihre körper aussahen wie gebrannter ton
selbst der himmel erinnerte an irdenes
steinzeug
ich lief schneller
auf einmal hörte ich ein schnauben und toben
die buckelwale richteten sich auf
flohen hinaus in die dunkelheit der nahenden nacht
Şirin sang weiter
das kriegsgeschrei näherte sich
entfernte sich wieder
und verstummte im letzten ton des lieds
dann hörte ich nur noch deinen atem
gesang zwei
die versuche über den wald liefen ins leere
kreisten schwarzstorch und waldrapp um ein neutronengeschoss
lag es verschattet neben der luftwurzel eines baums
suchtest du in stadt und dorf eine straße
die heraus führte aus dem grün
in ein nebelgebiet über flussauen
mischten sich stimmen mit den flügelschlägen von wörtern
die über dir kreisten
und einen namen riefen
indem sie das verschwiegene aussprachen
suchtest du weiter die liegengelassenen
augen und münder deine haare
auf denen du wiegenlieder spieltest
für ein totgeborenes
mit kristalliner struktur
[webtest du wasserzeichen in ein mandelland]